Prof. Dr. Wil van der Aalst

Professor für Informatik an der RWTH Aachen

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»Die Hälfte der Fortune-500-Unternehmen nutzt bereits Process Mining, oft mit spektakulären Zeitersparnissen und Qualitätsverbesserungen.«

Prof. Dr. Wil van der Aalst arbeitet als Professor für Informatik im Bereich Process and Data Science (PADS) an der RWTH Aachen und ist Chief Scientist bei Celonis.

Prof. Dr. Wil van der Aalst, © RWTH Aachen

Sie sind Experte auf dem Gebiet des Process Mining. Was genau ist das?
Process Mining erschließt den Wert von in Informationssystemen verborgenen Ereignisdaten (»event data«). Diese Daten erlauben es uns zu sehen, wie Prozesse und Organisationen tatsächlich funktionieren. Die Realität unterscheidet sich dabei oft von der Vorstellung, die Mitarbeitende und Führungskräfte von diesen Abläufen haben. Process Mining lässt sich daher z.B. für die Entdeckung, Diagnose und Vorhersage von Performance- und Compliance-Problemen nutzen. So können Potentiale erkannt und genutzt werden – zum Beispiel mit Hilfe automatisch ausgelöster Korrekturen.

Wie können Unternehmen aus NRW von Process Mining profitieren?
Die Hälfte der Fortune-500-Unternehmen nutzt bereits Process Mining, oft mit spektakulären Zeitersparnissen und Qualitätsverbesserungen. Process Mining kann auf jeden Prozess angewendet werden, zum Beispiel in der Produktion, im Finanzwesen, in der Logistik, im Versicherungswesen, im Transportwesen, im Bildungswesen und im Gesundheitswesen. Unternehmen in NRW sollten das Expertenwissen, das an der RWTH Aachen und am Fraunhofer FIT vorhanden ist, nutzen. Wir sind da, um zu helfen.

Wie kann das Wissen aus der Forschung am besten in die Wirtschaft übertragen werden?
Laut Gartner gibt es derzeit etwa 40 Softwareunternehmen, die auf unserer Process-Mining-Forschung der letzten 22 Jahre basieren. Ich habe die Forschungsergebnisse mit Hilfe von Open-Source-Software zugänglich gemacht und ermutige so viele Menschen wie möglich, »unsere Ideen zu stehlen« und Start-ups zu gründen. Unsere Open-Source-Software hat geholfen, den praktischen Nutzen unserer Ideen zu demonstrieren. Aber ich habe auch erkannt, dass eine Universität kein Softwareunternehmen ist. Unsere Forschung profitiert von dem unglaublichen Erfolg von Celonis. Auf diese Weise werden unsere Forschungsergebnisse in Tausenden von Unternehmen angewendet, die Prozesse mit Milliarden von Ereignissen abwickeln.

Welche Chancen sehen Sie in der Anwendung von Process Mining beispielsweise im Bereich der Medizin?
Obwohl wir 2015 ein Buch über Process Mining im Gesundheitswesen veröffentlicht haben, befindet sich die Anwendung noch in der Anfangsphase. Wir nutzen jetzt Process Mining, um die Behandlung von Covid-Patienten zu analysieren, und es gibt ein paar Unternehmen, die sich darauf spezialisiert haben. Die größte Hürde ist jedoch organisatorischer Natur. Das deutsche Gesundheitssystem ist sehr ineffizient und teuer (über 11 % des BIP), aber es gibt viele Interessengruppen, die es gerne so belassen würden. Daher sollte die Regierung bürokratische Regelungen mit Hilfe von Process Mining überarbeiten, um die Effizienz und Effektivität des Gesundheitssystems zu verbessern.

Was ist Ihrer Meinung nach der aktuelle KI-Trend?
Was als KI angesehen wird, ändert sich mit der Zeit. In dem Moment, in dem etwas tatsächlich wie beabsichtigt funktioniert, hört man auf, es KI zu nennen. Process Mining hat diese Phase übersprungen und funktioniert gut, ohne dass es vorher in den Medien gehyped wurde. Ich sehe Process Mining als einen Wegbereiter für Machine-Learning-Algorithmen in Unternehmen. Nach der Erstellung von Prozessmodellen, die eng an die Ereignisdaten angepasst sind, ist es relativ einfach, neuronale Netze darauf anzuwenden. Der schwierige Schritt besteht darin, das zugrundeliegende Prozessmodell zu entdecken. 

Prof. Dr. Wil van der Aalst hat seit 2018 den Lehrstuhl Informatik 9 für Process and Data Science (PADS) an der RWTH Aachen inne. Er ist bekannt als der »Gründungsvater von Process Mining« und Chief Scientist beim deutschen Start-up Celonis. Zudem ist er in Teilzeit am Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik (FIT) tätig und Mitglied des Board of Governors der Universität Tilburg. Wil van der Aalst ist einer der weltweit führenden Experten für Process Mining, Business Process Management, Workflow Management, Simulation, Concurrency und Process Modelling. 2020 wurde Prof. van der Aalst von der Association for Computing Machinery (ACM) für seine »Beiträge zu Process Mining, Prozessmanagement und Data Science« zum 2020 Fellow ernannt. Vom IEEE (Institute of Electrical and Electronics Engineers) wurde er 2021 zum Fellow ausgezeichnet und leitet dort die »Task Force on Process Mining«. Prof. van der Aalst hat 22 Bücher und über 245 Zeitungsartikel veröffentlicht und gilt als einer der meist zitierten Informatiker der Welt.