Prof. Dr. Hanno Gottschalk

Professor für Stochastik an der Bergischen Universität Wuppertal
und Experte für Autonomes Fahren

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»Die Zukunft liegt sicher in einer cleveren Kombination von öffentlichem Nahverkehr und Individualverkehr als Zubringer«

Hanno Gottschalk ist Professor für Stochastik an der Universität Wuppertal und Experte für autonomes Fahren. Was er sich von selbstfahrenden Autos erhofft und wo es in der Forschung noch Herausforderungen gibt.

Prof. Dr. Hanno Gottschalk
Prof. Dr. Hanno Gottschalk,
© Bergische Universität Wuppertal

Was ist eigentlich autonomes Fahren und warum heißt es nicht automatisiertes Fahren?
Wenn wir den Begriff autonomes Fahren verwenden, dann ist damit gemeint, dass ein Auto in der Lage ist, selbstständig zu lenken, sich in der Umgebung zu orientieren und gemäß der Straßenverkehrsordnung Richtung eines vorher definierten Ziels zu bewegen. Der Mensch kann sich dabei bequem zurücklehnen. Aber richtigerweise sollte es wohl besser automatisiertes Fahren heißen. Bei Aristoteles ist die Autonomie die Voraussetzung, aus der ein Individuum frei und daher moralisch verantwortlich entscheiden kann. Dies ist keine zutreffende Beschreibung davon, was KI nach heutigem Stand der Technik leistet. Wie auch im Namen »Künstliche Intelligenz« zielt der Begriff des autonomen Fahrens daher auf eine Überhöhung der Technologie, indem wir ihr menschliche Attribute zuschreiben. Keine gute Entwicklung, wenn ungenaue Sprache problematische Botschaften transportiert. 

Wo liegen die Vorteile des autonomen Fahrens und an welchen Stellen kann autonomes Fahren sinnvoll zum Einsatz kommen?
Mir fallen unheimlich viele tolle Anwendungen für das vollautomatisierte Fahren ein – wenn Autos bei Bedarf aus Garagen anrollen und dadurch die ganzen parkenden Autos aus dem Straßenbild verschwinden. Oder dass ich auf dem Weg zur Arbeit noch schnell eine Bachelorarbeit korrigieren kann. Das wäre ein Traum. Auch Mobilität von Kindern und älteren Menschen könnte sich positiv entwickeln. Meine Eltern und ihre Freunde feiern nicht mehr nachts, weil keiner mehr im Dunklen fahren will. Das könnten die dann wieder machen. Oder Kinder berufstätiger Eltern werden nachmittags zum Training gefahren – das reinste Wellnessprogramm für Mütter und Väter.

Aber wir müssen als Gesellschaft beobachten, was wirklich geschieht und die Entwicklung öffentlich diskutieren und bei Fehlentwicklungen intervenieren. Stellen Sie sich vor, dass die Kosten für Transporte so weit sinken, dass jede Kleinigkeit einzeln durch die Gegend kutschiert wird, was zu ständiger Überfüllung der Straßen führt. Automatisierung allein ersetzt kein sinnvolles Verkehrskonzept. Die Zukunft liegt sicher in einer cleveren Kombination von öffentlichem Nahverkehr und Individualverkehr als Zubringer. Last but not least: Aktuell ist Fahren eine Berufstätigkeit. Beim Übergang zum automatisierten Fahren brauchen wir eine Perspektive für die Beschäftigten dieser Branche. Da sie keine starke Lobby haben, muss hier von der Öffentlichkeit um so mehr hingeschaut werden, dass die neuen Geschäftsmodelle der einen nicht mit der Not der anderen bezahlt werden.  

Welche Herausforderung gibt es bei der Entwicklung und Bereitstellung autonomer Systeme?
Die Basistechnologie für das automatisierte Fahren existiert bereits. Aber Zuverlässigkeit und Sicherheit sind ein Problem. Die sogenannte KI ist äußerst leistungsfähig in geschlossenen Welten, wo es nur eine Hand voll Handlungsoptionen gibt. Offene Welten, wie im urbanen Verkehr, stellen da ganz andere Herausforderungen dar. Daher glaube ich, dass wir das automatisierte Fahren zuerst auf Autobahnen und anderen regulierten Straßensituationen sehen werden. Car-to-Car-Kommunikation mit 5G würde die Sicherheit erheblich steigern, wenn sie erst einmal flächendeckend eingeführt ist. Problematisch daran ist, neben dem Datenschutz und der IT-Sicherheit, die Übergangsphase: Werden dann die Besitzer*innen von Autos mit neuer Technologie wesentlich sicherer sein, als die Fahrer*innen alter Fahrzeuge? Wird es Forderungen geben, dass Menschen zur besseren Erkennung durch Autos nur noch mit elektronischen Positionssystemen auf die Straße dürfen, die in ihren Handys verbaut sind? Oder ist, wer das Handy zuhause lässt, selbst schuld, wenn sie/er überfahren wird? Für mich sind das dystopische Vorstellungen. Daher würde ich bevorzugen, wenn wir es schaffen könnten, das automatisierte Fahren allein mit der Fahrzeugsensorik und Bilderkennungsmethoden zu ermöglichen. Hierfür müssen wir genau verstehen, wann die Bilderkennung oder die Interpretation von Lidar und Radarsensoren mit tiefen neuronalen Netzen an ihre Grenze stößt. Und so sind wir zurück beim zentralen Problem: Zuverlässigkeit und Sicherheit der KI.     

Prof. Dr. Hanno Gottschalk wuchs in Leverkusen auf und studierte Mathematik und Physik in Freiburg und Bochum. Nach der Promotion in Mathematik im Jahr 1999 an der Ruhr Universität forschte er als DAAD Stipendiat an der Universität ‚La Spienza‘ in Rom. Es folgten drei Jahren als PostDoc an der Universität Bonn. Dort habilitierte er sich 2003 im Fach Mathematik und wurde 2006 Hochschuldozent. 2007 verließ er die akademische Laufbahn vorübergehend und arbeitete als Core Competency Owner für Probabilistic Design im Gasturbinen Engineering bei Siemens Energy. Nach einem Ruf an die Bergische Universität Wuppertal lehrt und forscht Hanno Gottschalk seit 2011 als Professor für Stochastik in Wuppertal. Neben der Modellierung der Zuverlässigkeit von mechanischen Bauteilen erforscht Prof. Gottschalk die Unsicherheit und Fehler der künstlichen Intelligenz. Im Juni 2018 wurde er mit Anton Kummert Gründungsdirektor des Interdisziplinären Zetrums für Machine Learning & Data Analytics.