Prof. Dr. Astrid Lambrecht

Vorstandsvorsitzende des Forschungszentrums Jülich

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»KI steht ganz oben auf unserer Agenda. Wir unterstützen mit unserer Forschung die Landesregierung, um NRW von einer Kohle- zu einer KI-Region zu transformieren.«

Professorin Astrid Lambrecht ist Vorstandsvorsitzende des Forschungszentrums Jülich (FZJ), das mit mehr als 7200 Beschäftigten zu den größten Forschungseinrichtungen Europas gehört. Der Betrieb von Superrechnern hat in Jülich bereits eine lange Tradition. 1961 wurde dort das Zentrum für Angewandte Mathematik gegründet, das 2004 in Jülich Supercomputing Centre (JSC) umbenannt wurde. 1967 wurde der erste Hochleistungsrechner IBM/360-75 installiert, der erste Höchstleistungsrechner CRAY X-MP folgte sechs Jahre später. Dies führte 1987 zur Gründung des Jülicher Höchstleistungsrechenzentrums (HLRZ) – das erste deutsche Supercomputerzentrum. Seither ist das Forschungszentrum Jülich einer der führenden europäischen Standorte für High-Performance Computing (HPC) und leistet mit seiner einzigartigen Recheninfrastruktur und fachlichen Expertise einen wichtigen Beitrag, um Künstliche Intelligenz (KI) zur Anwendung zu bringen. Im Interview mit Prof. Lambrecht blicken wir auf die aktuellen Entwicklungen, die mit rasanten Fortschritten in der KI einhergehen.

Portrait von Prof. Dr. Astrid Lambrecht
Prof. Astrid Lambrecht ist Vorstandsvorsitzende des Forschungszentrums Jülich. Copyright: Forschungszentrum Jülich / Sascha Kreklau

Ganz zu Beginn: Sie sind Vorstandsvorsitzende des Forschungszentrums Jülich – ein riesiges Forschungszentrum im Herzen Europas, nicht weit von Aachen entfernt. Wie ist Ihre
Einrichtung aufgestellt, was ist Ihr Ziel?

Wir arbeiten hier in Jülich auf drei Forschungsgebieten, die für die technologische Unabhängigkeit und die Zukunft unseres Landes entscheidend sind: Information, Energie und Bioökonomie, also in Bereichen, die die Menschen noch lange und intensiv beschäftigen werden. Wir verfügen über eine exzellente interdisziplinäre Forschungsinfrastruktur und sind an 18 Außenstellen national und international vertreten. Wir sind Gründungsmitglied der Helmholtz Gemeinschaft und international mit Forschungsinstitutionen sehr gut vernetzt. Wir forschen in Jülich zu gesellschaftlich relevanten Themen wie Digitale Transformation, Klimaschutz, Energiewende und Entwicklung einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft.

Die Nachfrage nach Supercomputern und Rechenzentren hat gerade Hochkonjunktur. Laut Handelsblatt werden allein dieses Jahr 100 Milliarden Dollar in solche Infrastrukturen fließen. Was ist der Grund hinter der wachsenden Nachfrage und wie bewerten Sie diese Entwicklung?
Große Superrechner-Infrastrukturen sind unerlässlich für die heutige Forschung, insbesondere für die Entwicklung und den Einsatz von Künstlicher Intelligenz, für Simulationen und Datenanalysen. Es ist jetzt wichtig, für die immer komplexeren Anwendungen und Problemstellungen, die Computer lösen sollen, optimal passende Systeme zur Verfügung zu haben, die besonders effizient, energiesparend und nachhaltig arbeiten. Das ist schon lange ein zentrales Anliegen für uns. In Jülich arbeiten wir bereits seit über zehn Jahren mit und zu KI. Demnächst wird bei uns der erste europäische Exascale-Rechner JUPITER installiert. JUPITER wird die Grenzen wissenschaftlicher Simulationen in Europa maßgeblich erweitern und die Möglichkeiten zum Training großer KI-Modelle erheblich vergrößern. Unser Fokus liegt aber nicht nur auf der Infrastruktur, sondern wir verfolgen einen ganzheitlichen Forschungsansatz, der drei Bereiche umfasst: Simulations- und Datenwissenschaften des High-Performance Computing, Hirnforschung und Forschung zu den bio- und nanoelektronikbasierten Informationstechnologien der Zukunft.

Wie muss man sich so einen Supercomputer wie JUPITER vorstellen und wie leistungsstark ist diese Rechenmaschine?
Supercomputer, wie auch JUPITER einer ist, sind heute praktisch alle als Parallelrechner aufgebaut. Das Booster-Modul von JUPITER, das Ende dieses Jahres installiert wird, besteht aus rund 6000 einzelnen Rechnern, die über ein Hochleistungs-Netzwerk miteinander verbunden sind. Optisch ist das fast schon unspektakulär: Die Rechner, auch Rechenknoten genannt, sind in sogenannten Racks untergebracht, die in mehreren Reihen nebeneinander aufgestellt werden – ähnliche Bilder kennt man vielleicht auch von großen Rechen- und Serverzentren für das Internet.

JUPITER wird ähnlich aussehen, aber in einem modularen Gebäude in Containerbauweise untergebracht sein. Die Idee ist aus der Not heraus entstanden, weil der Zeitplan und die Kosten sich durch weltpolitische Ereignisse so drastisch verändert haben, dass wir schnell umdenken mussten. Das entwickelt sich immer mehr zu einem Vorteil, da wir durch die modulare Bauweise sehr flexibel für künftige Anpassungen sind. Die Anlage wird eine Fläche von ungefähr einem halben Fußballfeld einnehmen und aus rund 50 Containern bestehen, die von dem IT-Unternehmen Eviden, das zur Atos-Gruppe gehört, gefertigt und geliefert werden.

Worauf es letztlich ankommt, ist die Leistung: JUPITER wird der erste Supercomputer der Exascale-Klasse in Europa sein. Er soll als erster Rechner in Europa die Grenze von einer Trillion Rechenoperationen pro Sekunde – einer »1« mit 18 Nullen – brechen. Zum Vergleich: Für eine solche Leistung bräuchte man mindestens 1 Million moderne Smartphones. Bei einfachen Rechenoperationen mit 8 Bit, die man typischerweise zum Trainieren von KI-Modellen verwendet, schafft JUPITER sogar mehr als 70 Trillionen Rechenoperationen pro Sekunde – die Prozessoren von JUPITER, die von NVIDIA kommen, sind hier sehr effizient. Damit wird JUPITER einer der leistungsstärksten KI-Rechner weltweit sein. Der Plan ist, damit große KI-Modelle nicht nur in Deutschland, sondern auch europaweit zu trainieren.

Schon heute betreibt das JSC mit »JUWELS« einen der leistungsstärksten Supercomputer in Europa. Wie unterscheidet sich »JUPITER« von seinem Vorgänger?
Ja, das stimmt, JUWELS war bei seiner Einweihung 2020 führend in Europa und ist auch derzeit noch unter den besten europäischen Supercomputern. Er kann als Vorläufer von JUPITER betrachtet werden. JUWELS ist, wie JUPITER auch, modular aufgebaut. Das Booster-Modul ist für hochparallele, rechenintensive Aufgaben ausgelegt, ein weiteres Cluster-Modul eher auf datenintensive, universelle Aufgaben zugeschnitten. Ich gehe technisch nicht zu sehr ins Detail. Aber durch diese Struktur können wir Rechenressourcen flexibel und effizient für verschiedene wissenschaftliche und industrielle Anwendungen nutzen und zuteilen. JUPITER wird ähnlich aufgebaut sein, kommt aber im Vergleich auf eine deutlich – mehr als Faktor 20 – höhere Rechenleistung. Damit ergeben sich speziell für rechenaufwendige Anwendungen wie das Training von KI-Modellen, das sehr viel Rechenzeit benötigt, ganz neue Möglichkeiten.

Mit »JUNIQ« betreibt das Forschungszentrum Jülich zudem die erste offene Infrastruktur für Quantencomputing in Europa. Welche Ziele werden damit verfolgt?
Wir sehen heute, dass der Fortschritt bei den klassischen Digitalrechnern immer mehr an physikalische Grenzen stößt. Das erkennt man beispielsweise am Energieverbrauch, der bei den heutigen Superrechnern der Exascale-Klasse deutlich höher ist als bei den Rechnergenerationen zuvor. JUPITER wird allerdings sehr energieeffizient arbeiten. Der erste Baustein von JUPITER, der bereits in diesem Frühjahr installiert wurde, belegt aktuell den ersten Platz auf der sogenannten Green500-Liste und ist damit ganz offiziell der energieeffizienteste Superrechner der Welt.

Neue Ansätze wie das Quantencomputing, das wir am Forschungszentrum Jülich intensiv erforschen und in die Anwendung bringen, haben das Potenzial, bestimmte Aufgaben noch sehr viel effizienter und schneller zu lösen, als es mit konventionellen digitalen Rechnern möglich ist. Quantencomputer können, stark vereinfacht ausgedrückt, Multi-Tasking. Dank der speziellen Eigenschaften ihrer Quantenbits können sie mehrere Berechnungen gleichzeitig ausführen. Ein Beispiel: Den besten Wirkstoff für ein Medikament unter Tausenden von Möglichkeiten sucht ein klassischer Supercomputer, indem er nacheinander alle ausprobiert. Ein Quantencomputer würde alle gleichzeitig testen.

Stand jetzt sind wir aber noch nicht so weit, diese Rechenvorteile von Quantencomputern gegenüber binären Computern nutzen zu können. Es gibt verschiedene Ansätze und Typen von Quantencomputern, die für jeweils unterschiedliche Aufgabentypen geeignet sind. Ich will auch hier nicht zu sehr ins Detail gehen. Über unsere Infrastruktur für das Quantencomputing JUNIQ bieten wir der Wissenschaft und Industrie bereits heute Zugang zu modernsten Quantencomputern unterschiedlicher Art mit verschiedenen technologischen Reifegraden.

Wer kann JUPITER nutzen, auch externe Forschende?
Ganz allgemein steht Rechenzeit auf den Jülicher Superrechnern und auch auf unserer Quantencomputing-Infrastruktur JUNIQ allen Forschenden in Deutschland und Europa zur Verfügung. Einen Zugang zu den Superrechnern gibt es etwa über regelmäßige Calls des Gauss Centre for Supercomputing (GCS), das die drei Bundeshöchstleistungsrechenzentren vereint, über die Fenix Research Infrastructure oder in Zukunft über das EuroHPC Joint Undertaking. Welche Projekte den Zuschlag erhalten, entscheiden unabhängige Peer-Review-Verfahren. Im Rahmen des „JUPITER Research and Early Access Program”, kurz JUREAP, können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler außerdem schon sehr früh auf JUPITER zugreifen, um ihre Codes in Zusammenarbeit mit unseren Expertinnen und Experten am Jülich Supercomputing Centre zu optimieren. Externe Forschende konnten sich hierfür genauso wie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Jülich Anfang des Jahres mit ihren Projekten bewerben und, wenn sie erfolgreich sind, bis ins nächste Jahr mit JUPITER arbeiten. Dann wird JUPITER in den allgemeinen Nutzerbetrieb übergehen.

Und wie sieht es mit Unternehmen aus? Können auch sie mit ihren KI-Projekten von JUPITER profitieren?
Soweit es uns möglich ist, möchten wir unsere Rechenkapazitäten auch der Industrie zur Verfügung stellen. Eine wichtige Rolle spielt hier das KI-Servicezentrum WestAI, zu dem das Forschungszentrum Jülich gehört. Das ist ein vom BMBF gefördertes Konsortium aus NRW-Forschungseinrichtungen, das Unternehmen bei der Entwicklung und Einführung von innovativen Anwendungen mit KI unterstützt. Sie dürften es kennen, Fraunhofer ist auch Partner. Der Fokus liegt primär auf KMU, aber auch auf Forschenden aus dem akademischen Umfeld. Das Angebot ist umfangreich: Es geht von KI-Beratung, über das Angebot der nötigen Hardware hin zu Schulungen in bestimmten Bereichen. Beispielsweise haben Experten des Forschungszentrums Jülich kürzlich gemeinsam mit einem Verlag einen KI-Prüfer für die Prüfungsvorbereitung entwickelt. Im Rahmen eines gemeinsamen Forschungsprojekts sollen nun verschiedene Sprachmodelle getestet und in Trainingsprogramme des Verlags integriert werden. Forschende und Unternehmen können sich bei uns mit sehr geringem Aufwand auf 10.000 GPU-h bewerben, dank der aktuellen Förderung im Moment sogar kostenlos. Der Antragsprozess für Forschungseinrichtungen ist auf unserer Website beschrieben, Unternehmen können sich bei Interesse beraten lassen. WestAI holt Unternehmen ab, die noch nichts oder wenig mit KI machen, aber das Potenzial erkannt haben und lernen wollen. Und das Angebot soll ausgebaut werden, sodass mehr gemeinsame Projekte zwischen Wissenschaft und Wirtschaft entstehen können, beispielsweise auch kommerzielle Rechenzeitangebote mit JUPITER und unseren anderen Superrechnern wie JUWELS.

Blick in die Zukunft: Wie sehen Sie perspektivisch die Nutzung und den Betrieb von Supercomputern in fünf bzw. zehn Jahren?
KI steht ganz oben auf unserer Agenda. Wir unterstützen mit unserer Forschung die Landesregierung, um NRW von einer Kohle- zu einer KI-Region zu transformieren. Künstliche Intelligenz ist dabei der vielleicht stärkste Motor für Veränderung, nicht nur in der Wissenschaft, sondern für alle Bereiche in der Gesellschaft.

Wir arbeiten daher auf allen Gebieten, die die Zukunft des maschinellen Rechnens bestimmen: neben Supercomputing auch an Quanten- und neuromorphem Computing, KI und Maschinellem Lernen. Unser Ziel ist es, die leistungsstärkste Infrastruktur Europas anzubieten, die alle Domänen des Computings miteinander verknüpft, damit unterschiedliche Nutzergruppen aus Wissenschaft und Wirtschaft gemeinsam lernen, wachsen und voneinander profitieren können. Wir möchten eine starke europäische KI-Community aufbauen mit der Leitidee: Nur wenn alle zusammenwirken, kann Future IT ein echter Innovations-Booster für das Land werden und helfen, globalen Herausforderungen erfolgreich zu begegnen. Davon bin ich überzeugt.

Professorin Astrid Lambrecht ist Vorstandsvorsitzende des Forschungszentrums Jülich. Die gebürtige Mülheimerin studierte Physik an der Universität Essen und am Imperial College in London. 1995 promovierte sie am Forschungsinstitut Laboratoire Kastler Brossel in Paris. 2002 habilitierte sich Lambrecht an der Pariser Universität Pierre und Marie Curie. Lambrecht forschte allem voran zu Quantenfluktuationen und den dadurch angeregten Kräften. Seit 2021 ist sie Vorstandsmitglied am FZJ und verantwortet dort den Wissenschaftlichen Geschäftsbereich I – den Forschungsschwerpunkt Information. Seit dem 1. August 2023 hat sie auch den Vorstandsvorsitz übernommen.