Prof. Dr. Ulrike Attenberger

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»Digitalisierung ohne Cyber Security ist undenkbar – insbesondere bei dem Umgang mit so vulnerablen Daten, wie sie im Gesundheitswesen erhoben werden.«

Prof. Dr. Ulrike Attenberger ist Direktorin der Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie an der Universitätsklinik Bonn (UKB) und Leiterin des KI.NRW-Flagship-Projekts »Innovative Secure Medical Campus UKB«. Wir haben Sie zum Thema KI in der Medizin befragt.

Prof. Dr. Ulrike Attenberger, © Universitätsklinikum Bonn (UKB) / A. Winkler

Was ist das Ziel des »Innovative Secure Medical Campus UKB«?
Ziel des ISMC ist es, am Beispiel eines universitären Maximalversorgers die Versorgung von Patient*innen ganzheitlich neu zu denken. Angesichts des demografischen Wandels und des hierdurch wesentlich bedingten Fachkräftemangels sowie dem steigenden Kostendruck im Gesundheitswesen kann und wird es ein »weiter wie bisher« nicht geben. In 15 Teilprojekten demonstriert der ISMC, wie Digitalisierung und KI die Patient*innenversorgung künftig auf ein völlig neues Level hebt, bei dem die vorhandenen Ressourcen optimierter eingesetzt werden, das medizinische Personal entlastet und Diagnose sowie Therapie präzisiert wird.

Welche Aufgaben können KI-Systeme im medizinischen Bereich jetzt schon übernehmen?
KI-Systeme sind natürlich ein sehr weit gefasster Begriff und man muss sehr genau definieren, was man damit meint. KI kommt z. B. im Bereich der Radiologie mittlerweile bereits an verschiedenen Stellen zum Einsatz, wie bei der Aufnahme von MRT-Bildern, um die Qualität weiter zu erhöhen. Auch können bereits heute KI-Systeme teilweise Bilddaten analysieren und Ärzt*innen auf mögliche Anomalien hinweisen. Dabei ersetzt die KI jedoch nicht den behandelnden Arzt bzw. die Ärztin, sondern dient vielmehr zur Unterstützung des Diagnose-Prozesses. Stand heute ist jedoch im Hinblick auf das Gesundheitssystem insgesamt der vernetzte und integrierende Einsatz von KI-Systemen über Anwendungsfelder in einzelnen Fachgebieten hinaus noch nicht erreicht.

Was sind Anwendungsfelder in der Medizin, in denen KI-Systeme in den nächsten Jahren vermehrt zum Einsatz kommen werden? Wo sehen Sie am meisten Potenzial?
Meiner Ansicht nach lassen sich die Anwendungsfelder innerhalb einer Workflowoptimierung in drei Bereiche einteilen. Erstens: Die intelligente Steuerung von Strömen der zu behandelnden Personen zur Reduktion von Wartezeiten genauso wie die Einsatzplanung von Personal und (Groß-)geräten. Zweitens: Die Optimierung der Diagnostik sowie, drittens, der therapeutischen Endstrecke im Sinne der individualisierten Präzisionsmedizin. Neben dem Einsatz von KI in der Befunderhebung birgt z. B. die Vision eines digitalen Zwillings von Patient*innen in diesem Zusammenhang großes Potenzial. Therapien könnten hier am digitalen Zwilling auf ihre Wirksamkeit vorerprobt werden, bevor sie dann zum Einsatz am Menschen kommen. Dies ist aber sicherlich eine Vision, deren Umsetzung noch in der Ferne liegt. Deutlich näher an der Umsetzungsrealität ist die Implementierung von Extended-Reality-Umgebungen. Diese dienen zur optimierten Planung und Durchführung von Operationen oder auch zur verbesserten Kommunikation mit unseren Patient*innen, indem sie den behandelnden Ärzt*innen helfen, komplexe Krankheitsbilder oder Therapieansätze anschaulicher zu vermitteln als das heute möglich ist.

Was sich viele fragen: Kann man als Ärztin bzw. Arzt einer KI blind vertrauen? Wie wird sichergestellt, dass hier keine Fehlentscheidungen getroffen werden?
Letztlich wird die finale Entscheidung auf absehbare Zeit immer in Händen der entsprechend qualifizierten Ärztinnen und Ärzte liegen, zumindest so meine Einschätzung, Stand heute. Es wird zudem derzeit intensiv daran gearbeitet, Möglichkeiten zu entwickeln, die die Entscheidungsfindung eines KI-Algorithmus nachvollziehbar machen – ein Stichwort in diesem Zusammenhang hier ist »trustworthy AI«.

Für den Einsatz von KI-Systemen werden viele Daten – in Ihrem Fall sensible und personenbezogene Gesundheitsdaten – benötigt. Um diese Daten besonders zu schützen, arbeiten Sie eng mit dem Bonner Cyber Security Cluster zusammen. Welche Maßnahmen werden dabei zum Schutz der Daten ergriffen?
Digitalisierung ohne Cyber Security ist undenkbar – insbesondere bei dem Umgang mit so vulnerablen Daten wie sie im Gesundheitswesen erhoben werden. In diesem Leuchtturmprojekt arbeiten wir mit starken Partnern nach dem »Security-by-Design-Ansatz«, bei dem modernste KI-Technologien von Anbeginn mit dem Thema Cyber Security und Datenschutz kombiniert werden. Sensible und personenbezogene Daten dürfen nur einem sehr eingeschränkten Personenkreis zugänglich sein. Zu diesem Zweck werden jene Daten in hochsicheren Umgebungen abgelegt und durch Monitoring-Systeme vor potenziellen Gefährdungen geschützt.

Was denken Sie, wie wird der Einsatz von KI von den Patientinnen und Patienten aufgenommen?
Die Kommunikation spielt hierbei eine wichtige Rolle. Patientinnen und Patienten muss klar sein, welchen Beitrag die KI bei der Diagnose und Therapie liefert und wie medizinisches Personal KI-Systeme steuern kann. Am Ende zählt jedoch der Behandlungserfolg – ob mit oder ohne KI wird für unsere Patient*innen vermutlich eine nachgeordnete Rolle spielen.

Mit Blick auf den Fachkräftemangel in Ihrer Branche: Wird der Einsatz von Künstlicher Intelligenz hier eine Hilfe sein?
Die Künstliche Intelligenz wird im Hinblick auf den Fachkräftemangel eine entscheidende Rolle spielen, z. B. bei der Erstellung und dem Management von Arbeitsplänen und Terminen für unsere Patient*innen. Das führt zwangsläufig auch zu Entlastungen z. B. für Pflegefachkräfte oder medizinisch-technische Radiologieassistent*innen. Perspektivisch werden auch im Pflegebereich und in der Großgerätemedizin neue Robotertechniken, z. B. bei dem Transport oder der Lagerung von Patient*innen eine zusätzliche Entlastung bringen. Zusammengefasst muss die Sinnhaftigkeit des Einsatzes von Künstlicher Intelligenz immer am Zeitgewinn für das behandelnde Personal gemessen werden; Zeit, die dann nicht in die Organisation verloren geht, sondern für die Patient*innenversorgung – von Mensch zu Mensch – zur Verfügung steht.

Was wünschen Sie sich für die Medizin der Zukunft?
Um die Zukunft der Medizin bestmöglich auszugestalten, wünsche ich mir einen noch effizienteren Einsatz von Ressourcen. Meine Vision ist es, dass zielgerichtete, KI-gestützte Diagnose- und Therapiepfade ein maximal optimiertes Therapieergebnis ohne Informationsverluste an den Schnittstellen der verschiedenen behandelnden Einheiten für unsere Patient*innen herstellen. Die »Organisationszeit« für die Mitarbeitenden sollte reduziert sein, um mehr Zeit für die Patient*innen zu haben. Außerdem ist eine verbesserte Kommunikation zwischen den verschiedenen Fachdisziplinen und im Kontakt zwischen Ärzt*innen, Pflegepersonal und Patient*innen wünschenswert.

Univ.-Prof. Dr. Ulrike Attenberger leitet das KI.NRW-Flagship-Projekt »Innovative Secure Medical Campus UKB«. Nach ihrem Studium der Humanmedizin an der LMU München approbierte sie 2005 und promovierte 2006 zum Thema »Stellenwert der MRT in der Diagnostik der pulmonalen Hypertonie«. 2011 habilitierte sie im Fach Radiologie an der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg. Durch verschiedene Forschungsaufenthalte war Prof. Attenberger 2012 bis 2015 unter anderem in Harvard, Zürich und Wien. Derzeit ist sie als Direktorin der Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie am Universitätsklinikum Bonn (UKB) tätig. Seit 2018 ist sie zudem Adjunct-Professorin der Medizinischen Universität Wien. Prof. Attenberger gilt als Expertin für High-End-Bildgebungsverfahren in der Krebsdiagnostik und wurde 2010 mit dem »Fellow Award der Radiological Society of North America« und 2012 mit dem Walter-Friedrich-Preis ausgezeichnet.